Mit der Aussprache zur möglichen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit in Polen hat das Arbeitsjahr des EU-Parlaments mit einem Highlight begonnen. Die Debatte im Plenum war ein Beispiel dafür, wie gut Demokratie, Parteienpluralismus und fairer Umgang funktionieren können, wenn sich alle an die Spielregeln halten.

Das gilt ganz unabhängig von der Frage, ob die EU-Kommission gegen die Regierung in Warschau zu rasch und zu forsch vorgegangen ist oder nicht. Die Verteidiger der Nationalkonservativen in Polen zeigen sich empört. Ganz anders sehen das Oppositionelle und Bürgerrechtler, die das Eingreifen in Radio und Fernsehen und im Höchstgericht als Anschlag auf Freiheit und Demokratie sehen. Solche Vorwürfe rühren an Grundfesten, nicht nur im Mitgliedsland Polen selber, sondern auch in der EU.

So spricht also fast alles dafür, die Verdachtsmomente durch übergeordnete Instanzen prüfen zu lassen. Das ist zuerst die Kommission (und ganz, ganz am Ende der Europäische Gerichtshof in Luxemburg). So sind die Regeln.

Mit Österreich (2000) und Ungarn (2011) gab es bisher zwei ähnliche Fälle. Der Vergleich macht sicher: Die EU-Demokratie hat seither große Fortschritte gemacht. Auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ und Jörg Haiders "lockeren" Umgang mit der NS-Vergangenheit hatten die EU-Partnerländer noch mit "bilateralen diplomatischen Maßnahmen" reagiert, ohne EU-Institutionen. Damals sah der EU-Vertrag kein Verfahren vor. Man behalf sich mit einem Weisenrat, der untersuchte und einen Bericht erstellte, der Haider rügte.

Zehn Jahre später gab es bei Ungarn zwar eine Grundrechtscharta, die Basis für "indirekte" Verfahren gegen die Regierung von Premier Viktor Orbán war, nicht aber den "strukturierten Dialog". Der Prozess lief in einer brutalen Konfrontation ab, die Debatte mit Orbán in Straßburg war ein wildes Schreiduell. Ganz anders ist es nun bei Polen, nicht zuletzt dank des Auftretens von Premierministerin Beata Szydlo. Sie wies alle Vorwürfe zurück, aber in ruhiger Manier, sachlich, zollte ihren Kritikern Respekt und zeigte sich bereit zum Dialog. Die Abgeordneten und die Kommissare taten es ihr gleich. Das schafft nun Raum für eine sachgerechte Aufklärung. Erst dann lässt sich vernünftig beurteilen, ob die Vorwürfe zutreffen. Das Wichtigste: Am Ende muss das Ergebnis gemäß den gemeinsamen Regeln akzeptiert werden. Das ist der Sinn der EU. (Thomas Mayer, 20.1.2016)