Kommentar

Der Preis einfacher Lösungen

Nachdem Österreich eine Obergrenze für Flüchtlinge eingeführt hat, droht auf dem Balkan eine Kettenreaktion. Unkoordinierte Grenzschliessungen kämen aber ganz Europa teuer zu stehen.

Ivo Mijnssen
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Im Verhalten der EU manifestiert sich eine explosive Mischung aus Überforderung, fehlendem politischen Willen und mangelnder Bereitschaft (Aufnahme: Flüchtlinge in Spielfeld, Österreich, 20. Januar) (Bild: Darko Bandic / AP)

Im Verhalten der EU manifestiert sich eine explosive Mischung aus Überforderung, fehlendem politischen Willen und mangelnder Bereitschaft (Aufnahme: Flüchtlinge in Spielfeld, Österreich, 20. Januar) (Bild: Darko Bandic / AP)

Trotz Winterkälte gelangen immer noch jeden Tag Tausende von Flüchtlingen nach Europa. Die Hoffnung auf eine Entspannung hat sich zerschlagen, die politische Stimmung kippt. Nun hat auch Österreichs Bundeskanzler Faymann, einer von Merkels engsten Verbündeten in der Flüchtlingsfrage, einer drastisch reduzierten Obergrenze für Flüchtlinge zugestimmt. Auch wenn der Regierungsplan offenlässt, was passiert, wenn die Maximalzahl erreicht ist, hat sie eine grosse Symbolkraft. Angesichts des drohenden Scheiterns einer europäischen Lösung setzt Österreich – offenbar teilweise in Absprache mit anderen Ländern der «Koalition der Willigen» – auf eine Begrenzung in Eigenregie.

Damit hat Österreich eine Kettenreaktion beschleunigt, die spätestens mit Schwedens Kehrtwende im November begann. Wien seinerseits reagierte darauf, dass Deutschland täglich mehrere hundert Personen an der Grenze zurückweist. Kroatien und Serbien schliesslich schränkten sogleich nach der Ankündigung aus Wien den Flüchtlingstransport ein, und Mazedonien schloss die Grenze nach Griechenland – temporär, aber ohne End-Datum. Angesichts der sich überschlagenden Ereignisse droht auf dem Balkan eine unkoordinierte Grenzschliessung.

Das Problem dieses unter starkem innenpolitischem Druck ausgeführten «Plans B» ist allerdings, dass die Restriktionen für die Einreise sehr beschränkt und deshalb relativ wirkungslos bleiben. Die Hoffnung, dass Obergrenzen alleine Kriegsflüchtlinge von ihrer gefährlichen Reise abhalten, erscheint naiv. Eine tatsächliche Grenzschliessung in Deutschland, wie sie auch in jüngst bekanntgewordenen Planspielen der Regierung durchexerziert wurde, würde einen Rückstau unvermeidlich machen. Die Frage ist dann lediglich, ob man diesen an der Schengen-Aussengrenze zwischen Slowenien und Kroatien oder aber an der griechischen Nordgrenze zu Mazedonien in Kauf nimmt.

Es wäre verantwortungslos, und das nicht nur unter moralischen Gesichtspunkten, wenn die reichen westeuropäischen Länder das Flüchtlingsproblem auf die Länder des Westbalkans abschieben würden. Die Spannungen würden massiv steigen in einer Region, die nach den Jugoslawienkriegen erst mühsam wieder zusammenwächst. Auch die europäische Stabilisierungspolitik auf dem Westbalkan, massgeblich durch die Migrationsbewegungen der neunziger Jahre motiviert, würde unterlaufen.

Die rasche Reaktion der Westbalkan-Staaten auf die Wiener Obergrenze legt eher die zweite Option nahe, die Schliessung an der griechischen Nordgrenze. Da Griechenland seine Seegrenze nicht kontrollieren kann, würde es faktisch zu einem grossen Internierungslager. In der CSU und auch in Ostmitteleuropa gibt es Stimmen, die diese Option nicht die schlechteste fänden und dafür plädieren, Griechenland im Gegenzug Finanzhilfen anzubieten. Eine solche Lösung würde aber das heute bereits vom Staatsversagen bedrohte Land an den Abgrund führen. Für Westeuropa bestünde der einzige Vorteil darin, dass sich die dramatischen Szenen fern von den eigenen Grenzen abspielen. Die Sicherheit wäre allerdings nur scheinbar, gefährdet doch eine Peripherie im Chaos auch Europa.

Diese sehr unschönen Perspektiven sprechen umso stärker für eine gesamteuropäische Lösung. Diese Einsicht scheint allerdings immer noch nicht in den Köpfen vieler Politiker angekommen zu sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Frontex es seit Monaten nicht schafft, 700 Grenzschützer für ihre Hotspots zusammenzubringen, und dass von den geplanten 160 000 erst 322 Flüchtlinge innerhalb von Europa umverteilt wurden? Auch das Gezerre um die 3 Milliarden Euro, die man der Türkei für die Unterbindung des Flüchtlingsstroms bezahlen will, stimmt pessimistisch. Stattdessen manifestiert sich im Verhalten der EU eine explosive Mischung aus Überforderung, fehlendem politischem Willen und mangelnder Bereitschaft, die Umsiedlungen notfalls auch mit Zwang durchzusetzen.

Realistisch gesehen sind die nächsten beiden Monate vorläufig das letzte Fenster, das sich für die Umsetzung der EU-Strategie gegen die Flüchtlingskrise bietet. Mit den zu erwartenden noch grösseren Flüchtlingsströmen im Frühling wird die Politik noch stärker populistischen Versuchungen ausgesetzt sein, als sie es bereits ist.

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